Liebe Leserinnen und Leser,
vor 80 Jahren schrieb der von den Nazis ermordete Jesuit P. Alfred Delp in seiner politischen Haft: „die Kirchen scheinen sich hier durch die Art ihrer historisch gewordenen Daseinsweise selbst im Weg zu stehen. Ich glaube, überall da, wo wir uns nicht freiwillig um des Lebens willen von der Lebensweise trennen, wird die geschehende Geschichte uns als richtender und zerstörender Blitz treffen. Das gilt sowohl für das persönliche Schicksal des einzelnen kirchlichen Menschen wie auch für die Institutionen und Brauchtümer. Wir sind trotz aller Richtigkeit und Rechtgläubigkeit an einem toten Punkt.“
2024 scheint die Kirche am „toten Punkt“ angekommen zu sein. Der „richtende Blitz“ hat längst eingeschlagen. Das Dach brennt, aber die Kirche dreht sich weiter um sich selbst. Die einen spulen die immer gleiche Reformagenda ab, andere verlieren sich in unendlichen Strukturdebatten um den Selbsterhalt einer Institution, wieder andere ersehnen das Heil in einem rückwärtsgewandten Milieukatholizismus, der die Kirche erst in diese schwierige Lage gebracht hat. Delp weiter: „2000 Jahre Geschichte sind nicht nur Segen und Empfehlungen, sondern auch Last und schwere Hemmung.“
Gibt es einen Ausweg für eine immer größer werdende Gruppe, die dem allem nur noch achselzuckend und gleichgültig gegenüber steht? Tote Punkte können zu Wendepunkten werden. Das zeigt uns das Fest der Kreuzerhöhung am 14. September. Das Kreuz in allen menschlichen Dimensionen kann zum Wendepunkt werden. Dafür ist Jesus Christus gestorben. Dafür ist er auferstanden. Eine Kirche, die aus dieser Botschaft die Kraft gewinnen würde, helfende und heilende Begegnungen zu ermöglichen, nicht um zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren, sondern um der Menschen und um Gottes willen. Eine solche Kirche wäre am Wendepunkt. Alfred Delp schreibt weiter: „Aus allen Poren der Dinge quillt Gott uns gleichsam entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und bösen Stunden hängen und erleben sie nicht bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen.“ Geben wir der Resignation und der Lethargie keinen Raum. Unsere Zeit und unsere Kirche verdient Menschen, die aufstehen und leben.
Ihr Pastor
Norbert Viertel